Bei der Jugendkonferenz „Hamburg & Europa in deinen Händen“, die am 1. Dezember 2022 im Wälderhaus (Hamburg-Wilhelmsburg) noch im „Europäischen Jahr der Jugend“ stattfand, nutzten rund 80 Teilnehmende die Gelegenheit, in den direkten Austausch mit der Politik zu treten und ihre Ideen und Vorstellungen einzubringen.
In verschiedenen Dialogforen fand ein reger Austausch zu folgenden Themen statt:
In dem Dialogforum zu inklusiven Gesellschaften wurde im ersten Schritt über die Frage Was heißt für dich Inklusion? gesprochen und anschließend gemeinsam diskutiert, was es alles für eine inklusivere Gesellschaft braucht. Die Teilnehmenden, die aus den Jugendverbänden, der offenen Kinder und Jugendarbeit und aus Schulen kamen, hatten die Gelegenheit ihre Gedanken und Ideen mit Britta Herrmann (GRÜNE), Metin Kaya (LINKE) und der Staatsrätin der Sozialbehörde Petra Lotzkat zu diskutieren.
Zu Beginn wurde über den Unterschied zwischen Integration und Inklusion gesprochen. Dabei wurde festgehalten, dass in einer inklusiven Gesellschaft, alle Menschen und Bevölkerungsgruppen in ihren Besonderheiten anerkannt würden und gleichberechtig teilhaben könnten. In Abgrenzung dazu wurde unter Integration eine Gesellschaft verstanden, die Unterschiede zwischen Menschen und Bevölkerungsgruppen zwar akzeptiere, die verschiedenen Lebensweisen und Wertevorstellungen jedoch nicht gleichberechtigt wertschätze. Während bei der Integration das Verhältnis zwischen Mehrheit und Minderheit fortbesteht, ist es in einer inklusiven Gesellschaft aufgelöst.
Das selbstverständliche Wahrnehmen, Anerkennen und Dazugehören unterschiedlicher Perspektiven war für die meisten Teilnehmenden der entscheidende Inhalt von Inklusion. Es ging vielen darum, dass beispielsweise die Vielfalt der Sprachen in Hamburg oder verschiedene individuelle Bedürfnisse gleichberechtigte Teile eines gemeinsamen Ganzen bilden. In diesem Zusammenhang wurde die Bedeutung der Individualität und hybrider Identitäten betont. Viele Teilnehmende konnten ihre Beiträge mit persönlichen biografischen Bezügen und Erfahrungen unterstreichen. Kontrovers wurde über die Balance zwischen inklusiver Anerkennung und gesellschaftlicher Abgrenzung von unerwünschten Vorstellungen und Haltungen (bspw. Verweigerung der Beschulung der Kinder) diskutiert.
Für eine inklusivere Gesellschaft braucht es nach Ansicht der Teilnehmenden insbesondere Orte der Begegnung und Mitsprache. Damit diese wiederum funktionierten, seien gegenseitiger Respekt, das Verständnis füreinander, die Fähigkeit zum Perspektivwechsel und das Wissen voneinander von Bedeutung. Um einer Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken, müssten alle Gruppen gleichberechtigt einbezogen und gehört werden.
Beim Blick auf die Hamburger Realität wurde besonders über durchmischte Sozialräume und das Ziel der Chancengleichheit in allen Hamburger Stadtteilen gesprochen. Die Durchlässigkeit der Hamburger Gesellschaft müsse verbessert werden, um Aufstiege zu ermöglichen. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde eine Schule für alle und eine bessere Finanzierung sozialer Infrastruktur gefordert. Einige würden sich den Ausbau von Mentoring-Programmen wünschen. Es wurde ergänzt, dass hohe Anforderungen und Bürokratie die Anerkennung bspw. von Abschlüssen den Zugang in die Bildungs- und Arbeitswelt erschwerten. Für erfolgreiche Ort der Begegnung und Teilhabe wurden Integrationsbeiräte als Beispiel genannt.
Die meisten Teilnehmenden waren sich einig, dass gesellschaftlicher Wandel im Sinne einer nachhaltigeren und grünen Perspektive nicht mit Zwang, sondern mit Anreizen, Überzeugung und vor allem guter Bildungsarbeit geschaffen werden kann. Gesetzlicher Zwang kam allerdings ins Spiel, als es z.B. um eine dringend zu veranlassende Vereinheitlichung der Rohstoffe (erlaubte Plastikarten) für Verpackungsmaterialien ging, um ein umfassenderes Recycling durchzusetzen oder überhaupt erst zu ermöglichen.
Die Beteiligten stimmten überwiegend überein, dass der nötige kulturelle und gesellschaftliche Wandel (auch des Umweltbewusstseins) eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, aber vor allem durch gute (und jetzt zu fördernde!) Bildungsarbeit vor allem bei der jüngeren Generation erfolgreich sein kann. Dazu gehört z.B. eine verstärkte Aufklärung, aber auch lustvolle Einladung* zu nachhaltiger Ernährung: ein besseres und günstigeres Essensangebote für vegetarische und vegane Alternativen mit regionalen Produkten an Schulen, oder „meatless Mondays“ in der Kantine. In dieser Bildungs- /Aufklärungssarbeit sollten nicht nur die Nachhaltigkeitsaspekte im Vordergrund stehen, sondern auch Vorteile für die eigene Gesundheit besonders stark hervorgehoben werden. (*d.h. an möglichst vielen vor allem öffentlichen Orten – auch bei dieser Veranstaltung – sollen die Bedingungen dafür geschaffen werden, dass leckeres, wirklich gutes vegetarisches/veganes Essen angeboten werden kann, dass geschmacklich überzeugt und so z.B. Fleischverzicht/-reduktion für viele Menschen erleichtert).
Teilnehmende der Runde unterstreichen mit persönlichen Beispielen (Mülltrennung, Ernährungsweise usw.), dass man selbst vorangehen und in der peer-Gruppe/Familie/Wohngemeinschaft durchaus Wirkungen „im Kleinen“ erzielen könne und rufen dazu auf, das auch weiter zu tun!
Als ein Hauptproblem wurde identifiziert, dass man sich aktuell Umweltschutz leisten können muss! Hier muss sowohl auf der Einkommensseite (z.B. für Menschen in Ausbildung) als auch bei den Preisen, mit Subventionen für nachhaltigere Produkte/Lebensmittel gegengesteuert werden:
- erhöhte Mehrwertsteuer z.B. auf Fleischprodukte,
- mehr Subventionen für Anbau und Verkauf von Bioprodukten,
- die Förderung von mehr Biobauernhöfen/ökol. Landwirtschaft in Europa,
- mehr Regulierung: z.B. durch das verpflichtende Kennzeichnen von Produkten, Kontrolle der Produktion/Lieferketten (z.B. bei Kleidung).
Laut der Teilnehmenden sollte in der Debatte um Räume für Auto- und Fahrradverkehr auch immer der Ausbau und die Organisation des Nahverkehrs (vor allem in Hamburger Randgebieten) mit gedacht werden. Beim dringend notwendigen und sehr wichtigen Ausbau des Radwegenetzes, muss sowohl auf die praktische Sicherheit, als auch auf andere wichtige Bestandteile der Infrastruktur geachtet werden, z.B genügend Fahrradständer, die auch mal vergessen wurden. Einigen Teilnehmenden geht der Ausbau des Hamburger Radwegenetzes zu wenig ambitioniert vonstatten (es wurde auch von Situationen berichtet, in denen demokratische Entscheidungen zum Ausbau im Stadtteil zu einfach von politischen Gegenkräften wieder in Frage gestellt werden konnten), andere gaben zu bedenken, dass man diesbezüglich die auf das Auto angewiesenen Pendler*innen auf dem Weg durch die ganze Stadt nicht überfordern und als mögliche Auswirkung nicht in Staus zwingen sollte.
Macy Morris, Lisa Crinon und Philip Pauen vom europe direct Info-Point Europa betreuten den Workshop zum Thema Zukunft und Generationengerechtigkeit. Hier sollten die Teilnehmer*innen zunächst den Begriff „Generationengerechtigkeit“ definieren. Anschließend stellte das Team fünf politische Projekte der EU vor, die sich mit verschiedenen Aspekten des Themas Generationengerechtigkeit auseinandersetzen: Den Stabilitäts- und Wachstumspakt, den Europäischen Grünen Deal, den Europäischen Klimapakt, das Neue Europäische Bauhaus, sowie den Europäischen Aufbauplan.
Während der Präsentation hatten die Teilnehmer*innen die Möglichkeit, ihre Fragen oder Anmerkungen direkt an Birgit Stöver (CDU) und Benjamin Welling (Junge Union) zu stellen.
„Zukunft und Generationengerechtigkeit“ wurde in der Gruppe vor allem als Chancengleichheit verstanden. Hierbei sei es wichtig, zukünftig in Bildung zu investieren und an europäischen Lösungen zu arbeiten. Wirtschaft und Politik müssten schon heute die Interessen zukünftiger Generationen mitdenken. Dazu sind Investitionen in Bildung und Maßnahmen zum Klimaschutz unabdingbar.
Kontrovers wurde über die Rolle öffentlicher Schulden für die intergenerationale Gerechtigkeit diskutiert. Während einerseits die Gefahr der finanziellen Belastung für nachfolgende Generationen angeführt wurde, betonte die Gegenseite die Wichtigkeit größerer Investitionen, um die fundamentalen Probleme der Gegenwart eben im Sinne folgender Generationen zu lösen.
Als weiteres Problem für generationengerechte Politik wurde der demographische Wandel identifiziert, der den bestehenden Generationenvertrag aus dem Gleichgewicht bringen und die Reform von Altersvorsorgemodellen nötig machen könnte. Als maßgebliches Mittel für generationengerechte Politik nannten die Teilnehmer*innen die Partizipation junger Menschen an politischen Entscheidungsprozessen, nicht nur auf europäischer Ebene.
Bei der anschließenden Diskussion im Plenum wurden die Ergebnisse der Dialogforen von jugendlichen Teilnehmenden präsentiert und von den politischen Vetreter*innen kommentiert.
Vielen Dank an alle Beteiligten für ihr Engagement! Das Interesse am Austausch und die Beteiligung war hoch, und erste Ideen für die Weiterführung des Dialogprozesses wurden bereits zusammengetragen. Alle am Kooperationsverbund beteiligten Organisationen freuen sich auf den weiteren Austausch und eine Folgeveranstaltung!